Am Strassenrand sehen wir einen Schneeberg. In der Nacht hat es angefangen zu schneien. Dicke Flocken erschweren die Sicht und das Thermometer zeigt -2 Grad. Der Schneeberg bewegt sich. Er hebt einen Daumen. Getreu dem Motto ein bisschen netter zu unseren Mitmenschen zu sein, halten wir. Der Schneehaufen hat einen orangeroten, langen Bart und heißt Alex. Er möchte nach Homer. Wir sind auf unserem Weg nach Anchorage, was ungefähr die halbe Strecke für Alex ausmacht. Wir lassen ihn wissen, dass wir nur den Boden hinter dem Fahrerraum zur Verfügung haben. Wenn das für ihn okay ist, kann er gerne mit. Alex strahlt und schüttelt seine weiße Bedeckung ab. Zum Vorschein kommt ein Mann mit stahlblauen Augen, die von tiefen Lachfalten umringt sind. Seine Haut verrät, dass er viel draußen ist. Die rote Strickmütze passt zum Bart. Seine Sneaker allerdings nicht zum Wetter. Vor uns liegen vier Stunden Fahrt. Bei diesen Bedingungen – eher fünf. Alex ist 33 Jahre alt. Als Sohn einer Englischlehrerin und eines ehemaligen Investmentbanker in New Jersey geboren. Mit 19 entscheidet er: ich werde Fischer. Der Beruf führt ihn an verschiedene Orte. Neben New Jersey fühlt er sich in Seattle und Homer zu Hause. Er erzählt vom Leben an Bord und dass er circa 8 Monate im Jahr zu Wasser ist. Er heuert bei verschiedenen Kapitänen an. Eine gute Zeit mit der Crew, ist wichtiger als der Verdienst. Seltsam ist, dass die lukrativen Monate, meist nicht so lustig sind. Wenn viel zu tun ist, bleibt keine Zeit für geselliges Zusammensein und bierreiche Nächte. Er beschreibt das Leben auf wenigen Quadratmetern über Wochen, ohne ein Mal Land zu betreten. „Die Kommunikation ist das Wichtigste. Sonst gehst du unter. Du musst nach einem frischen paar Socken fragen, anstatt sie einfach vom Anderen zu nehmen.“ lautet seine Aussage. Wir müssen schmunzeln. Er setzt sich nun auf seinen Rucksack. Das scheint bequemer zu sein. Beklagt wird sich nicht, im Gegenteil: er ist dankbar. In Fairbanks hat er Freunden beim Bau eines runden Hauses geholfen. Dort hat er seinen Wintermantel vergessen. Als wir ihn aufgesammelt haben, stand er bereits eineinhalb Stunden an der Kreuzung. Mit Turnschuhen! In seinem Rucksack befindet sich alles was er zum Leben braucht. Seine Kleidung, ein Schlafsack und ein Ein-Mann-Zelt. Später erfahren wir, dass er ein Grundstück in Homer hat. Er will ein Haus bauen. Irgendwann. Eilig hat er es nicht. Alex liebt Hitch Hiking. So hat er auch Julia kennen gelernt. Eine Deutsche, die zum Polarmeer trampen wollte. Spontan hat er entschieden, sie zu begleiten. Er hatte Urlaub und nichts anderes vor. Witzig und anschaulich wird uns von der abenteuerlichen Unternehmung erzählt. Weitere Geschichten vom Trampen sorgen für Erheiterung und immer mit dabei: Alex Lachfalten. Wir machen Pause und gehen einen Burger essen. Der Fischersmann lädt uns ein. Wir fragen ihn weiter aus. So sehr, dass sein Essen kalt wird. Fischen ist seine Leidenschaft, auch wenn er diesen Beruf nicht mehr machen will, wenn er mal Familie gründet. Er erklärt uns die verschiedenen Techniken des Fischfangs. Alex ist in der Lage kritisch über seinen Beruf und sein Leben nachzudenken, ohne dabei seine Unbeschwertheit zu verlieren. Zurück im Auto wird uns nicht eine Minute langweilig. Wir sprechen über eingefrorene Polar-Eichhörnchen, die wieder zum Leben erwachen. Über das schwierige Thema Jagd, über legales Hasch-Rauchen in Alaska und über den Anbau von Bio Lebensmitteln. Es macht Spaß ihn bei uns zu haben. Dabei fällt auf: Alex (ver)urteilt nicht. Er achtet darauf, seine Meinung als subjektiv zu deklarieren. Er akzeptiert die Existenz von Grautönen. In Anchorage angekommen stehen wir erneut vor dem Problem der geschlossenen Campingplätze. Unser Begleiter greift zu seinem Handy und ruft einen Kumpel an. Silberrücken wird er genannt. Sie kennen sich von der See. Drei Jahre haben die Freunde sich nicht gesehen. Kurze Zeit später stehen wir vor dessen Tür. Sofort wird klar, warum der Mann Silberrücken heißt. Kompakt, muskulös und silbergraue Haare. Sie umarmen sich herzlich. Als Silberrücken unseren Bus sieht, ist er nicht zu bremsen. „ Awesome VW Bus! 4 Wheel Drive and Diesel? Killer! Look at this car. Killer, Maaan!“ Beide helfen uns bei der Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit mit Dusche. Wir dürfen den Laptop benutzen. Silberrücken ruft alle möglichen Leute an. Schlägt uns sogar vor, bei ihm zu duschen und auf dem Parkplatz zu übernachten. Diese wahnsinnige Hilfsbereitschaft rührt uns. Dennoch entscheiden wir uns für ein Motel. Wir möchten niemandem zur Last fallen. Als wir uns verabschieden drückt uns der Rotbärtige herzlich. Alex – der Optimist, der Lebemensch, ein inspirierender Mann.
Kommentare
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Sehr schöne Geschichte und mit Herzenswärme geschrieben. Ich mag Alex auch so, ohne ihn je kennegelernt zu heben. Und solche Episoden kann einem niemand mehr wegnehmen, sie prägen und öffnen das Herz. Fremde gibt es nicht. Überall warten Menschen, die eine Geschichte erzählen und mit dieser Geschichte werden sie zu realen Weggenossen. Man wird sie nie mehr im Leben wieder einmal treffen, aber sie sorgen für Momente, die unvergesslich sind.
Nice to meet Alex and Silberrücken this way!
…immer eine bereicherung – solch inspirierende menschen kennen zu lernen…
wow – vielleicht genau das, was ihr in dem Moment gebraucht habt.
Toller Mensch, krasses Leben und eine sehr schöne Lebenseinstellung.
DA können sich einige eine Scheibe davon abschneiden
Beim Lesen dieses Charakterbildes von Alex kamen mir buchstäblich die Tränen – da werden uralte Menschseinssehnsüchte wach. Und wieder ein großes Dankeschön für diese wunderbaren Bilder und Texte!