Es gibt diese Tage… man wacht auf und es ist grau. An der Wange schmelzen die Eiskristalle. Sie haben sich über Nacht auf dem Kopfkissen angesammelt. Es ist kalt. Richtig kalt. Du blinzelst und dir fällt ein: Ah stimmt, wild campen, wieder keine Dusche. Die dritte Nacht in Folge. Du ziehst die Decke fester um dich und machst die Augen noch mal zu. Emotionsflexibel – das trifft die momentane Phase wohl ganz gut. Manchmal innerhalb von Minuten. Ändern tut es nichts.
Entlang des Alaska Highway liegt Watson Lake. Eine kleine Gemeinde, mit einem einzigen Highlight. Der Sign Post Forest. Inzwischen beinhaltet er 30.000 Schilder. Holztafeln, Ortsschilder, Nummernschilder oder auch gern mal eine spontan beschriftete Bratpfanne. Menschen aus aller Welt verewigen sich hier. Wir fahren weiter Richtung Klondike Highway. Nächster Halt Whitehorse. Diese Stadt kann man getrost vernachlässigen, wenn man nicht halten muss. Wir schauen dennoch schnell bei der S.S. Klondike vorbei. Ein Schiff, dass im 19. Jahrhundert ein wichtiges Transportmittel des Yukon River war. Es wurde zu einem Museum umgestaltet. Aber wie sollte es anders sein: geschlossen. Die ersten Regentropfen fallen. Wenn alles ein bisschen doof und trist ist, entscheiden wir uns meist dazu, zu fahren. Das monotone Brummen des Busses, sein stetiges Arbeiten und die wohlige Wärme, die er produziert, macht das Leben gut. Er ist unser Zuhause. Die 24 Stunden Naturdokumentation, die direkt vor unserer Scheibe abläuft erledigt den Rest. Wir erreichen die Tundra. Eine neue Art der Landschaft. Die Strassen werden immerzu schlechter. Und du weißt, dass du dich tatsächlich auf einem modernen Abenteuer befindest, wenn diese Dinge passieren: ein Schild sagt dir, dass der 911-Service jetzt endet. Dir fallen die Autowracks am Strassenrand auf. Kein Handynetz seit drei Tagen. Und Wildpinkeln ist für dich normaler geworden, als eine Toilette zu benutzen. Nun gut. Wir finden ein Stück Freifläche inmitten eines Nadelwaldes und richten uns für die Nacht ein. Ein bisschen gruselig ist es, so allein mitten im Wald. Immer wieder lugen wir aus den Fenstern, um nach Tieren Ausschau zu halten. Vielleicht stellt sich ja so ein Prachtexemplar an Elch, völlig wider seiner Natur, direkt vor den Bus? Die Sonne weckt uns und hat vor, wenigstens für das Frühstück zu bleiben. Weiter auf dem Klondike Highway machen wir in Carmacks Pause. Ein 500 Seelen Dorf mit Post Office. In diesem lernen wir Gary und seine Frau kennen. Er erzählt viel über deren Leben und von der Umgebung. Gibt Tipps, wie man sich am Besten verhält, wenn man einen Bär trifft. Groß muss man sich machen und mit lauter aber ruhiger Stimme sprechen, während man langsam rückwärts geht. So lange, bis sich ein Ausweg bietet. Auf keinen Fall hysterisch schreiend umdrehen und wegrennen, rät er uns wissend. Seine Empfehlung führt uns nach Keno City. Ein Dorf, in dem angeblich die alte Mine wieder in Betrieb genommen wurde. Ganz nah, ein befahrbarer Berg mit Wahnsinns-Aussicht. Die Strasse dort hin ist wunderschön – und voller Schlaglöcher. Ein Weißkopfseeadler, ein Silberfuchs und ein Braunbär geben uns die Ehre. Als wir den Grünen bergauf gequält haben, liegt vor uns ein herunter gekommenes Dorf. Weißgraue Kaninchen queren in Eiltempo die Wege. Jedes Haus hat mindestens einen Schrottwagen vor der Tür stehen und die Giebel sehen auch nicht mehr ganz so fit aus. Wir fragen ein paar Leute in der Siedlungsmitte, wo es zum Gipfel geht. Wir rumpeln in die angewiesene Richtung. Steil tragen uns die Kurven den Berg hoch. Das Wetter kann sich nicht entscheiden. Von Strasse kann jetzt keine Rede mehr sein. Und plötzlich ist da Schnee. Alles ist bedeckt. Der Weg nur noch durch eine Fahrspur erkennbar. Das seltsame Spiel zwischen Licht und Wolkenformationen erzeugt eine spannende Stimmung. Die Aussicht, unbezahlbar! Wieder im Keno angekommen gehen wir ins Restaurant des City Hotel. Wir sind die einzigen Gäste. Die Situation ist so skurril, dass wir lachen müssen. Chilli con Carne essend erfahren wir, dass die Mine vor einem Jahr – wegen des sinkenden Silberpreises – wieder geschlossen wurde. Noch 12 Menschen leben hier, alles Rentner. Im Dunkeln holpern wir zurück ins Tal. Grau begrüßt uns auch an diesem Morgen. Mit einem weiteren Nachtanken durch den Ersatzkanister erreichen wir Dawson City. Die Goldgräberstadt mit den bunten Fassaden, wie im Western. Alles schön und gut, wenn die Stadt lebt. Also zur Saison. In dieser befinden wir uns offensichtlich nicht. Wir verziehen uns ins Alchemy Café. Florian ist der Besitzer und hat das Gebäude 2012 aus eigener Kraft erbaut. In einer doch sehr alkoholgetränkten Stadt wollte er eine Oase für gesundes Essen und guten Kaffee schaffen. Ist ihm gelungen! Wir vergessen das Grau, das Kalt und die komische Stimmung während wir einen heißen Cappuccino trinken und einen Bio-Schoko-Peanutbutter-Bomber essen. Und jetzt? Top of the World Highway. Erster Grenzübergang. Alaska!
Kommentare
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Wie toll Ihr die Stimmung einfangt. Es fröstelt mich und ich spüre wie gut der Cappuccino bei Florian tut.
Seid geküsst für den kalten Ritt durch Alaska.